Friedhofskapelle in Alfeld – ein Stück zur Vergangenheitsbewältigung

Text: Martin Butler

Wer seiner Fahne dient, stirbt nie“, schrieb die Alfelder Zeitung im Juli 1937 zur Eröff­nung des 1. Kreistages der NSDAP in Alfeld. (Prominenter Redner war der Reichsmini­ster Dr. Frank.)
In dieser Zeit besichtigten der stellvertreten­de Bürgermeister Dr. Vogel und die zustän­digen Beiräte neuere Friedhofskapellen im Lande. Am 18. November lag der Bauplan für die Errichtung einer Leichenhalle in Al­feld vor.
Der neue Stadtbaumeister Franz Hille (gest. im Juli 1987) hatte sie am Schnittpunkt des Haupt- und Mittelweges auf dem Friedhof vorgesehen. Das Gebäude sollte mit Bruch­steinen aus Thüster Kalkstein (Serpolit) ver­blendet werden und ein Kreuz über dem Eingang tragen.
Am 4. Oktober 1938 unterschrieb im Auftra­ge der Baupolizeibehörde August Blickwede, der stadtbekannte Polizeimeister (gest. 18. November 1938), den sogenannten Gebrauchsabnahmeschein.
Am 28. März 1939 wird die neue Leichen­halle eingeweiht. „Hoch über dem Altar leuchten in großer goldener Schrift die Ru­nen des Ewigen und Göttlichen und die Mahnung: ,Es lebe niemand, er kämpfe denn‘, die einem Worte des Führers entnom­men sind.“ So berichtet die Alfelder Zei­tung.
Wenn man im Jahrgang 1939 blättert, findet man interessante Überschriften. Es war die Zeit, in der die Standesbeamten einheitlich
„braune Amtstracht“ anlegen mußten (20.1.) und die Ehrenkreuze zunächst für die älteren kinderreichen Mütter ausgeteilt wurden (2. Februar).
Im September brachte dann der Zweite Weltkrieg die ersten Eisernen Kreuze und die ersten Gefallenenkreuze! Unter dem 22. Februar meldete die Alfelder Zeitung – im Gleichklang mit anderen Presseorganen -, daß „die Entjudung in unserem Gau abge­schlossen“ sei.
Die Inschrift aus dem „tausendjährigen Rei­che“ wurde gleich nach dem Kriege besei­tigt, geblieben sind in der Friedhofshalle sechs Fenster. Sie wurden künstlerisch von Heinz Meyer (1944 im Krieg gefallen) ge­staltet.
Als jüngster Sohn des Malermeisters Wil­helm Meyer hatte er in Weimar und Hanno­ver die Kunstgewerbeschule besucht und mit seinem Professor (?) die Entwürfe gelie­fert.
„Vier Fenster“, heißt es in der Alfelder Zei­tung vom 29. März 1939, „stellen in Runen und Bildern die Jahreszeiten dar, die ande­ren tragen ernste Sprüche, einer aus der Ed­da …, der andere von Pestalozzi.“
Zur selben Zeit, als im Braunschweiger Dom die Umgestaltung des Kirchenraumes zu ei­ner nationalsozialistischen Weihehalle fer­tiggestellt war, bekam auch die Stadt Alfeld ihren entsprechenden Feierraum. Der erste Tote, der von der Halle aus bestattet wurde, war – seltsam genug – ein Sohn des SA-Standortführers, des Obersturmbannführers Gustav Müller.

Heute fällt es den Betrachtern der Fenster kaum noch auf, daß die einstigen Embleme der NS-Bewegung (z. B. Hitlerjugend-Fah­nen, SS-Abzeichen, Völkischer Beobachter) in der Siegrune (Nordseite) wiederkehren. Noch weniger bekannt sind Hagal-(Sechsstern-)Rune, Lebensrune oder Odalrune. Sie waren in der SS-Stiftung „Ahnerbe“ (z. B. auf der Wewelsburg bei Paderborn) verbrei­tet. Karl Theodor Weigel, Verfasser des Bu­ches „Runen und Sinnbilder“ (1935), mach­te sie populär bis in die Schulen.
Zwei Fenster enthalten Inschriften, die aus ihrem Zusammenhang herausgerissen und im Sinne der NS-Gottgläubigkeit (Konfessionsbezeichnung: gottgläubig) verwendet worden sind. Zwischen den Bildern für Herbst und Winter steht: „Es stirbt der Reichtum, es sterben die Freunde, endlich stirbt man selbst, doch eines weiß ich: daß niemals stirbt der Nachruhm über den Toten.“
Die andere Inschrift soll ein Zitat von Pesta­lozzi enthalten: „Glaube an dich selbst, Mensch, an den inneren Sinn deines We­sens, so glaubst du an Gott und an die Un­sterblichkeit.“ Zwischen Frühling- und Sommerbild ist dieser Spruch auf der Nord­seite angebracht. Das Eichenblatt-Motiv kommt bei dem Portalstein „1938“ wieder vor.
Als 1969 – also vor zwanzig Jahren – auf die Zusammenhänge mit der „arteigenen Kunst der NS-Bewegung“ hingewiesen wurde, gab es einen heftigen Streit in der Alfelder Öf­fentlichkeit. Aber die meisten gaben sich damit zufrieden, daß sie sich bei den Trauer­feiern in der Friedhofshalle nicht durch die Fenster gestört fühlten. Selbst Alfelder Bür­ger, die aus Furcht vor den Männern mit dem SS-Zeichen ihre Parteibücher (SPD) und ihre Vereinsfahne hinter der Gasuhr oder unter ihren Matratzen versteckt hatten, fanden die Fenster nicht (mehr) anstößig.
1971 konnte der damalige Oberkreisdirektor feststellen, als noch einmal die Fenster von mir beanstandet wurden: „In der Gestaltung der erwähnten Fenster ist eine Gesetzesverletzung nicht erkennbar!“
Historische Stätten (z. B. der wiederent­deckte Brunnen im Alten Dorf) erhalten in der Stadt Alfeld Hinweisschilder mit einem kurzen Informationstext. Es wäre gut, wenn dies nach fünfzig Jahren auch bei der Alfel­der Friedhofskapelle geschähe. In seiner Re­de zum 8. Mai 1985 hat der Bundespräsident unüberhörbar darauf hingewiesen, „warum es lebenswichtig ist, die Erinnerung wach­zuhalten“. Die Alfelder Fenster können die spätere Generation (die Kinder der „Flakhel­fer-Generation“) zu einem Bewußtsein füh­ren, das die „Gefahr des Vergessens“ aufhält und die „Kraft, Gefährdungen immer von neuem zu überwinden“ (v. Weizsäcker), eröffnet.
Literatur/historisches Material: Zeitungsband 1938 und 1939 Alfelder Zeitung – Kir­chenbücher der St.-Nicolai-Gemeinde, Al­feld – Bauamtsakte Friedhofskapelle (Stadt Alfeld, Bauamt)



Rolf Wilhelm Brednich, Volkskunde – die völkische Wissenschaft von Blut und Bo­den/in: Die Universität Göttingen unter dem Nationalsozialismus. Das verdrängte Kapi­tel ihrer 250jährigen Geschichte. München 1987.
40. Jahrestag der Beendigung des Krieges in Europa und der nationalsozialistischen Ge­waltherrschaft – Gedenkstunde des Deut­schen Bundestages und des Bundesrates 8. Mai 1985 (Sonderdruck)

Ein besonderer Dank gilt Henning Bode, Alfeld OT Langenholzen, der die Fotoaufnahmen anfertigte.

Friedhofskapelle in Alfeld
Fenster Friedhofskapelle Alfeld