Text: Hartmut Häger
Der Hildesheimer Landrabbiner Abraham Lewinsky wurde am 1. März 1866 als Sohn von Jacob und Friederike („Rikel“) Lewinsky geb. Reich im oberschlesischen Loslau (heute Wodzisław Śląski), fünfzig Kilometer südwestlich von Kattowitz, geboren. Er hatte sieben Geschwister, von denen fünf namentlich bekannt sind: David, Gerson, Leopold, Fanny und Salomon.
Nach seiner Reifeprüfung in Ratibor (heute Racibórz) studierte Abraham Lewinsky von 1884 bis 1891 am renommierten Jüdisch-Theologischen Seminar Breslau und von 1874 bis 1887 an der Universität Breslau. Seine Dissertation „Beiträge zur Kenntnis der religionsphilosophischen Anschauungen des Flavius Josephus“ legte er 1887 in Tübingen vor. 1888/89 war er Hilfsprediger in Kosten (Kościan), Posen, und seit 1890 konservativer Rabbiner in Weilburg an der Lahn, Hessen-Nassau.
Im November 1892 trat er sein Amt in Hildesheim an.
Am 6. September 1894 heiratete er Dorette („Dora“) Rosenberg, geboren am 4. Oktober 1875 in Burgdorf, und hatte mit ihr die Kinder Hermann (geboren am 8. September 1896), Frieda (geboren am 16. Mai 1900) und Kurt Heinz (geboren am 13. August 1909). Seit 24. März 1902 wohnte die Familie im Haus Viktoriastraße 3. Dora starb am 10. Mai 1934 in Hildesheim. Abraham Lewinsky zog um nach Mainz, wo er am 18. Dezember 1941 starb.
Der Landrabbiner muss ein ausgleichender, toleranter und den Menschen zugewandter Mann gewesen sein. Vor allem war er aufs engste mit den Familien seiner Gemeinde verbunden. Es gelang ihm, auch die häufig religiös eher konservativer eingestellten Gemeindemitglieder osteuropäischer Herkunft zur Teilnahme am Gottesdienst der Gemeinde zu bewegen und von eigenen Gottesdiensten abzuhalten.
Lewinsky war sowohl deutscher als auch Hildesheimer Patriot. Im Ersten Weltkrieg stand sein Name unter den Spendenaufrufen für die Unterstützung der Kriegführung. Er beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte der Juden in Hildesheim und in anderen Städten, insbesondere Norddeutschlands.
Rabbiner Lewinsky strebte für die jüdische Religionsgemeinschaft eine gleichberechtigte Stellung neben den anderen sowie einen toleranten Umgang der Konfessionen miteinander an – und damit letztlich die Integration in die übrige Gesellschaft. Bei der Trauerfeier für Bischof Dr. Joseph Ernst am 9. Mai 1928 saßen die nichtkatholischen Gäste, Landesbischof Dr. Marahrens, Generalsuperintendent Dr. Stißer und Landrabiner Dr. Lewinsky, auf der linken Seite direkt vor dem Altar am Kopfende der ersten Bankreihe. Ihnen gegenüber saßen die Vertreter aus dem preußischen Kultusministerium, dem Oberpräsidium, der Stadt (Dr. Ehrlicher), dem Regierungspräsidium sowie verschiedener Gerichte. Lewinskys Wunsch nach gleichberechtigter Stellung und gesellschaftlicher Integration schien erfüllt.
Ab 1933 erlitt auch Lewinsky die Demütigungen der Nationalsozialisten. Ab 1934 wurde jede Predigt von einem Gestapo-Beamten überwacht. Am 1. Juli 1935 trat er auf seinen Antrag (im Alter von 68 Jahren) in den Ruhestand.
Abraham Lewinsky und seine Frau beteiligten sich – offenbar rege – am Vereinsleben der jüdischen Gemeinde, aber auch der Stadt und darüber hinaus. Es hat den Anschein, als wäre der Rabbiner in jedem Verein von Amts wegen Vorsitzender. Einige ernannten ihn auch zu ihrem Ehrenvorsitzenden. Die Funktionen sind dem Adressbuch 1919 entnommen, im Frauenverein wurde er wohl 1923 Ehrenpräsident. Er gehörte der jüdischen Hillel-Loge in Hildesheim an, die Mitglied der „Großloge für Deutschland“ war, die ihrerseits dem internationalen, in Amerika entstandenen Orden B‘nai B‘rith angehörte.
Eine ausführliche Biografie enthält:
Häger, Hartmut (2019): Zum Wohl der Menschen und zur Ehre Gottes. Die Amtsträger der jüdischen Gemeinde in Hildesheim (1933-1942). Unter Mitarbeit von Lore Auerbach und Guy Stern. 1. Auflage. Hildesheim: Gerstenberg (Veröffentlichungen des Hildesheimer Heimat- und Geschichtsvereins, 7).