Text: Margit Deckner
Im Frühjahr des Jahres 1944 erwarb der Magistrat das ehemalige jüdische Schulgebäude sowie die Friedhöfe an der Teich- und der Peiner Straße. Verkäufer war jeweils das Hildesheimer Finanzamt, das durch den Oberfinanzpräsidenten mit der Verwaltung des Grundeigentums der Gemeinde sowie auch der deportierten Privatpersonen beauftragt war.
Auch hier gab es vor dem Kauf mit dem Finanzamt Verhandlungen mit der Reichsvereinigung. Nachdem aber ihr Vermögen beschlagnahmt war, führte man die Verhandlungen mit dem Finanzamt weiter, welches die Verwaltung des Besitzes übernommen hatte. Der Vertrag wurde schließlich am 4.8.1944 abgeschlossen mit einer Kaufsumme von insgesamt 1481 RM. Für den Friedhof in der Peiner Straße bezahlte man 1 RM pro Quadratmeter, für den an der Teichstraße 6 RM. Der jeweilige Einheitswert lag bei 2 bzw. 7.50 RM. Die unterschiedlichen Beträge erklären sich daher, dass man nur im Falle des Friedhofs an der Teichstraße von einer problemlosen Bebauung ausging – denn hier waren schon lange keine Bestattungen mehr erfolgt. Die Stadt beabsichtigte, das Gelände der Kreishandwerkerschaft zur Verfügung zu stellen, weil sie nach Ansicht des Gauleiters einen Beitrag zur Förderung des Handwerks erbringen müsse. Dieses Vorhaben, wie auch der Abriss der jüdischen Schule, wurde aber vor Kriegsende nicht mehr umgesetzt.
Heute beherbergt dieses Gebäude das Pfarramt der katholischen Godehardi Gemeinde.
Aber es war nicht nur der Stadtrat, der bestrebt war, jüdisches Eigentum in seinen Besitz zu bringen, sondern auch Parteistellen. Gerade das folgende Beispiel zeigt, dass die Nutznießer auch Privatleute waren.
Die NS-Volkswohlfahrt führte mit der Reichsvertretung seit dem Juni 1942 Verhandlungen über den Kauf des Grundstückes Bahnhofstraße 14, das zuvor der Isaak-Meyerhofschen-Stiftung gehörte. In den Besitz der Reichsvereinigung war das Gebäude gelangt, da es ihr auf Anordnung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD Heydrich bereits 1939 eingegliedert worden war.
Zunächst wurde das Haus von der Bezirksstelle Hildesheim der Reichsvertretung, der hiesigen jüdischen Gemeinde verwaltet. Nachdem es nach der letzten Deportation im Juli 1942 keine jüdische Gemeinde in Hildesheim mehr gab, wurde die Verwaltung der Bezirksstelle Hannover übertragen.
Obgleich das Haus nun rechtlich der Reichsvertretung gehörte, bemühten sich mehrere Stellen um die weitere Nutzung. Am 17.12.1942 teilte das Finanzamt mit, dass die Wohnungen im Erdgeschoss und im ersten Stock durch den Herrn Gauleiter im Einvernehmen mit dem Herrn Oberbürgermeister und der Geheimen Staatspolizei ab 1.11.1942 an zwei Reichsbedienstete, Herrn Major Kühn und Herrn Diplomkaufmann Fromm, vermietet worden seien. Diese Wohnungen sollten vor dem Bezug noch instand gesetzt werden, woraus sich ein Betrag von 3.121,43 RM ergebe, den das Finanzamt im Voraus zu zahlen habe, um die Handwerker nicht so lange auf die Begleichung ihrer Rechnungen warten zu lassen. Der Reichsvertretung, die bei der Vergabe der Wohnungen offenbar nicht nach ihrem Einverständnis gefragt worden war, blieb nichts anderes übrig, als die Summe zu bezahlen.
Ob es schließlich zum Kaufabschluss zwischen der NS-Volkswohlfahrt und der Reichsvertretung kam, oder ob man den vereinbarten Betrag von 30.000 RM noch überwies, war in dem Entschädigungsverfahren nach dem Kriege nicht mehr überprüfbar.
Nutznießer von Verfolgung und Deportation der jüdischen Bevölkerung gab es viele. Einmal profitierte das Reich aus den Verkäufen beschlagnahmten jüdischen Besitzes, daneben gelang es der Kommune oder der Partei sowie Privatpersonen, Grundstücke in der besten Lage zu Spottpreisen zu erwerben.
Das Herausdrängen der jüdischen Menschen aus ihren Häusern und Wohnungen, wie auch die Deportation boten zahlreiche Profitmöglichkeiten. Die Wohnungen wurden neu vermietet, der Staat nahm, nachdem der Besitz beschlagnahmt war, die Mieten ein. Die Einrichtungsgegenstände, die dabei zurückblieben, wurden unter der städtischen Bevölkerung versteigert.
Weiterlesen in:
Die jüdische Gemeinde in Hildesheim 1871 – 1942 von Jörg Schneider