Text: Axel Christoph Kronenberg
Seit Anfang des 19. Jahrhundert lebten in Lamspringe die jüdische Familie Brandt. Sie besaß hier in der Hauptstraße Textilgeschäfte und hatte ihren Platz im Flecken und war angesehen. Sie gehörte zum Leben in Lamspringe. Mit der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten und dem Aufkommen des Nazi-Terrors im Jahre 1933 gegen die jüdischen Bewohner wurden die Brandts zunehmend ausgegrenzt, gemieden, boykottiert und verfolgt. Sie mussten Jahre psychischen Drucks, verbaler Bedrohungen ausstehen und um ihr Leben fürchten. Es gelang der Familie Brandt in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern und dadurch der Vernichtung zu entgehen.
Leben in Lamspringe
Die Familie des Kaufmanns Herz Brandt, der im Jahre 1783 in Groß Rhüden geboren worden war, war seit September 1815 in Lamspringe ansässig, wo Herz mit seinem Vater Herz Lazarus Brandt eine Ellenwarenhandlung in der heutigen Hauptstraße betrieb.
Herz Brandt starb am 22. Juni 1849 in Lamspringe und wurde in Groß Rhüden begraben. Nach seinem Tod führte seine Witwe Zahra , geb. Moses, das Geschäft mit ihrem Sohn Louis (* 1831) weiter. Herz Brandts minderjähriger Sohn Isaac, geb. 14. Juni 1833, war beim Tod seines Vaters noch nicht volljährig. Sein Vormund war seine Mutter Witwe Sara Brandt, geb. Moses. Am 29. Juni 1857 war der Witwe „die Verwaltung des gesamtes Nachlasses ohne Rechnungsbeläge“ übertragen worden. Die Vormundschaft endete bereits am 14. Juni 1858. Isaac Brandt wanderte in diesem Jahr in die USA aus, als er volljährig geworden war. Es ist nicht bekannt, wie lange er in den USA blieb.
Ab 1859 übernahm Louis Brandt das Geschäft und betrieb es eigener Verantwortung weiter, nachdem es seine Mutter an ihn übertragen hatte. Sein Sohn Isaac Brandt, geboren in Lamspringe am 14. Juni 1833, verheiratete er sich am 17. Dezember 1866 mit Jenny Falkenstein, die am 5. Mai 1842 in Holzminden geboren worden war. Mit ihr betrieb er das Textilwarengeschäft erfolgreich weiter.
Jenny starb jung am 28. Dezember 1887. Isaac folgte seiner Frau am 15. Dezember 1900 in den Tod. Die Grabsteine von Isaac und seiner Frau Jenny sind heute dort noch vorhanden.
Nach dem Tod seines Vaters Isaac im Jahre 1900 wurde die erfolgreiche kaufmännische Tätigkeit von Julius Brandt, dem ältesten Sohn Isaacs, fortgesetzt, der das Geschäft ausbaute. Von ihm übernahm sein Sohn Henry das florierende Textilwarengeschäft und dehnte seinen geschäftlichen Betrieb durch die Gründung einer Bank für kleinere Finanzgeschäfte aus. Diese richtete er im Fachwerkhaus in der Hauptstraße unmittelbar neben seinem Ladengeschäft ein (heute Volksbank Hildesheim, Hauptstraße Nr. 101).
Julius Brandt, der am 20. November 1870 in Lamspringe geboren worden war, hatte die vier Brüder Hugo, Leo., Paul und und Gustav.
Julius verheiratete sich mit Anny, geb. Brandt, aus Hamburg. Sie hatten die Söhne Richard und Henry, der am 17. August 1898 in Lamspringe geboren worden war. Henry übernahm das Geschäft von seinem Vater Julius und verheiratete sich mit Elisabeth Jordan aus Hamm.
Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 verschlechterten sich die Lebensverhältnisse der Brandts. Eine erste Anfeindung erfuhr die Familie 1933 nach Fertigstellung der Badeanstalt in Neuhof, wo ihnen trotz großzügiger finanzieller Unterstützung des Baus der Zutritt verwehrt blieb. Neben Hetzparolen wie „Juda verrecke“, die an die jüdischen Mitbürger gerichtet wurden, hingen auch Listen aus, in denen die Namen derjenigen Lamspringer Bürger eingetragen wurden, die bei Juden einkauften.
Am 15. September 1938 richtete der Lamspringer Bürgermeister Karl Anhalt vier Schreiben an den Landrat in Alfeld und ersuchte die Ausstellung von polizeilichen Führungszeugnissen zwecks „Ausreisung“ für Julius Brandt, seine Ehefrau Elisabeth, geb. Jordan, und ihre beiden Söhne Helmut (* 14. Juli 1924) und Kurt (* 2. August 1927). Die jüdischen Kinder durften zunächst die evangelische Volksschule in Lamspringe besuchen, bis man ihnen das 19371 verbot.
Am Abend des Mittwoch, dem 9. November 1938, steigerte sich die Verfolgung der jüdischen Bürger auch in Lamspringe so, dass es zu der von der Reichsregierung angeordneten berüchtigten Reichsprogromnacht kam. Zu den Ereignissen in Lamspringe berichtete ein damaliger Zeitzeuge, der damals als Aushilfskellner im Restaurant des Bahnhofshotels tätig war: „Irgendetwas lag in der Luft, die SA-Leute tuschelten und schienen auf etwas zu warten. Je länger der Abend dauerte, je mehr Bier getrunken wurde, desto mehr war aus einzelnen Sprachfetzen zu entnehmen. Schon bald konnte man sich zusammenreimen, dass man auf die SA aus Alfeld wartete und dass etwas gegen die Juden laufen würde.“
Die Ausschreitungen gegen die jüdischen Bürger und ihre Geschäfte in Lamspringe kulminierten um 2 Uhr dahingehend, dass die Schaufenster der Geschäfte und der Wohnräume eingeschlagen wurden. Das Inventar der Geschäfte wurde teilweise zertrümmert und auf die Straße geworfen. Der Mercedes des Kaufmanns Henry Brandt wurde aus der Garage geholt, vor den Glockenturm der geholt, angezündet und umgestürzt.
Am 10. November 1938, am Tag nach der so genannten Reichsprogromnacht wurden Julius und Henry Brandt sowie Moses Rosenblatt und sein Schwiegersohn Max Rosenberg festgenommen, vorübergehend im Alfelder Gerichtsgefängnis inhaftiert. Als Elisabeth Brandt, geborene Jordan, die Ehefrau von Julius, in Alfeld die bereits ausgefertigten Ausreisepapiere vorzeigen konnte, wurde Henry sofort entlassen. Julius wurde kurz danach wegen seines fortgeschrittenen Alters ebenfalls entlassen.
Nach Aussage des damals 11jährigen Sohnes Kurt2, gelang es der Familie Henry und Elisabeth Brandt mit ihren beiden Söhnen Helmut und Kurt ungefähr eine Woche nach den schrecklichen Ereignissen, per Eisenbahn offiziell nach Vlissingen in den Niederlanden zu reisen und sich an Bord des Passagierschiffes Westerland zu begeben. Die Überfahrt hatten sie bereits geraume Zeit vorher vorbereitet und gebucht. Sie erreichten am 12.Dezember 1938 den Hafen New York in den USA. Zuvor hatten sie eine so genannte Judensvermögensabgabe in Höhe von 3.800 RM zu zahlen. Der gesamte Besitz der Brandts wurde eingezogen.
Julius und Anna Brandt reisten wegen ihres Alters und wegen noch nicht vollständiger Ausreisepapiere nicht sofort mit der jungen Familie Henry und Familie aus, sondern fuhren noch 1938 zunächst nach Hannover, wo sie bis 1940 in der Yorkstraße 6 wohnten.
Sie stellten am 7. März 1939 ihre Ausreiseanträge beim Bürgermeister Karl Anhalt in Lamspringe, die aber erst Anfang 1941 genehmigt wurden. Sie reisten mit dem Zug durch das von deutschen Truppen besetzte Frankreich nach Spanien aus und konnten von Portugal aus mit einem Schiff nach New York offiziell auswandern. Der gesamte Besitz der Brandts wurde eingezogen. Die Gebäude wurden an Lamspringer Bürger verkauft.
Heute (2013) leben die Nachkommen der Familien von Kurt und Helmut Brandt mit ihren Familien in den USA. Annie Brandt starb 1958 und Julius Brandt 1960 in den USA in New Hampshire. Kurt lebt heute mit seiner Frau Sarah in Florida, während sein Bruder Helmut am 2002 verstarb.
Bilder:
3. Das am 9. November 1938 umgestürzte und angezündete Auto von Henry Brandt
4. Die ausgewanderte Familie Brandt in den USA im Jahre 1952
Literatur:
Hildesheimer Kalender 2014, Seiten 109-119.