Text: Axel Christoph Kronenberg im Januar 2015
Vorbemerkung
Seit Anfang des 19. Jahrhundert lebten in Lamspringe die zwei jüdischem Familien Brandt und Rosenblatt. Beide besaßen hier in der Hauptstraße Textilgeschäfte und hatten ihren Platz im Flecken und waren angesehen. Sie gehörten zum Leben in Lamspringe. Mit der Regierungsübernahme der Nationalsozialisten und dem Aufkommen des Nazi-Terrors im Jahre 1933 gegen die jüdischen Bewohner wurden sie zunehmend ausgegrenzt, gemieden, boykottiert und verfolgt. Sie mussten Jahre psychischen Drucks, verbaler Bedrohungen ausstehen und um ihr Leben fürchten. Im Folgenden soll zunächst das Schicksal der Familie Brandt dargestellt werden, der es gelang in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern und dadurch der Vernichtung zu entgehen. Ferner soll das Schicksal der Familie Rosenblatt-Rosenberg aufgezeigt werden, deren Weg in Konzentrationslager und in den Tod führte.
Familie Brandt
In der Zeit von 1815 bis 1938 lebte in Lamspringe die jüdische Fami1ie Brandt. Die Familie des Kaufmanns Herz Brandt, der im Jahre 1783 in Groß Rhüden geboren worden war, war seit September 1815 in Lamspringe ansässig, wo Herz mit seinem Vater Herz Lazarus Brandt eine Ellenwarenhandlung in der heutigen Hauptstraße betrieb. Herz Lazarus stammte aus Mackensen im damaligen Amt Hunnesrück und zog 1784 nach Groß Rhüden. Sein Vater war Herz Simon in Mackensen1, der älteste Sohn des Pferdehändlers Abraham Ruben (+ um 1775). Als Herz Lazarus sich mit Brendel, der Tochter des Levin Philips verheiraten wollte, schrieb er im Jahre 1783 an den Fürstbischof von Hildesheim und bat um Ausstellung eines Schutzbriefes. Er erhielt den erbetenen Schutzbrief im Jahre 1784. Lazarus Herz erläuterte in seinem Brief an den Fürstbischof seinen Heiratswunsch und erklärte, dass er „eine eigene Oeconomie antreten“ wolle. Er werde sich dann in Groß Rhüden niederlassen. Der jüngste Sohn von Herz Simon Brandt hieß Nathan Herz, der 1777 einen Schutzbrief bekam, was ihn eine Summe von 116 Reichstaler kostete. Er war mit der Tochter des Schutzjuden Isaak Levi verheiratet und lebte in Groß Freden. Bei ihm wohnte seine verwitwete Mutter. Im Jahre 1839 gab es in Groß Rhüden zwei jüdische Manufaktur- und Ellenwarenhandlungen. Die eine gehörte Philip Brandt und die andere dessen Bruder Zacharias Brandt. Philip erwarb im Jahre 1832 das baufällige Spielmeyersche Haus nebst Garten. Diese Stelle war ein Halbköterhof, der alljährlich drei Handdiensttage an der Domäne Bilderlahe zu leisten hatte. Philip Brandt stand in gutem Ruf und konnte „einiges Vermögen“ erwerben. Er lebte 1850 noch.
Herz Brandt starb am 22. Juni 1849 in Lamspringe und wurde in Groß Rhüden begraben2. Nach seinem Tod führte seine Witwe Zahra , geb. Moses, das Geschäft mit ihrem Sohn Louis (* 1831) weiter. Herz Brandts minderjähriger Sohn Isaac, geb. 14. Juni 1833, war beim Tod seines Vaters noch nicht volljährig. Sein Vormund war seine Mutter Witwe Sara Brandt, geb. Moses. Am 29. Juni 1857 war der Witwe „die Verwaltung des gesamtes Nachlasses ohne Rechnungsbeläge“ übertragen worden. Die Vormundschaft durch seine Mutter, die Witwe Sara Brandt, geb. Moses, endete am 14. Juni 18583, als Isaac das 25. Lebensjahr erreicht hatte. Am 29. Juni 1857 war der Witwe die „Verwaltung des gesamtes Nachlasses ohne Rechnungsbeläge vermacht“ worden. Isaac Brandt wanderte in diesem Jahr in die USA aus, als er volljährig geworden war, kam aber bald wieder zurück.Ab 1859 übernahm Louis Brandt das Geschäft und betrieb es eigener Verantwortung weiter, nachdem es seine Mutter an ihn übertragen hatte. Die Brandts erfreuten sich in Lamspringe großer Beliebtheit, was nicht zuletzt daran zu erkennen war, dass ihnen in der Gemeinde ehrenamtliche Tätigkeiten wie z.B. Schriftführer im Verschönerungsverein übertragen worden sind. Sein Sohn Isaac Brandt, geboren in Lamspringe am 14. Juni 1833, verheiratete er sich am 17. Dezember 1866 mit Jenny Falkenstein, die am 5. Mai 1842 in Holzminden geboren worden war, mit er das Textilwarengeschäft erfolgreich weiter betrieb.
Jenny starb jung am 28. Dezember 1887. Isaac folgte seiner Frau am 15. Dezember 1900 in den Tod. Für das gute Verhältnis zu den Lamspringer Bürgern spricht auch, dass die zwei Mitglieder der Familie Brandt auf dem evangelischen Friedhof in Lamspringe bestattet werden durften. Die Grabsteine von Isaac und seiner Frau Jenny sind heute dort noch vorhanden. Nach dem Tod seines Vaters Isaac im Jahre 1900 wurde die erfolgreiche kaufmännische Tätigkeit von Julius Brandt, dem ältesten Sohn Isaacs, fortgesetzt, der das Geschäft ausbaute. Von ihm übernahm sein Sohn Henry das florierende Textilwarengeschäft und dehnte seinen geschäftlichen Betrieb durch die Gründung einer Bank für kleinere Finanzgeschäfte aus. Diese richtete er im Fachwerkhaus in der Hauptstraße unmittelbar neben seinem Ladengeschäft ein (heute Volksbank Hildesheim, Hauptstraße Nr. 101).
Julius Brandt, der am 20. November 1870 in Lamspringe geboren worden war, hatte die vier Brüder Hugo (*1. Februar 1868), Leo (* 20. Mai 1875), Paul (* 14. Mai 1878, + 1878) und Gustav (* 19.Oktober 1883). Alle wurden in Lamspringe geboren. Isaac trug die Geburten der Kinder und andere Familienereignisse in eine persönliche Übersicht ein, die erhalten ist und dem Autor in Kopie vorliegt4.
Über das Schicksal der großen Familie ist bekannt, dass Hugo nach Hannover ging und dort ein Textilgeschäft (?) betrieb. Er starb am 16. Februar 1924. Er wurde in Lamspringe auf dem 1902 neu angelegten jüdischen Friedhof an der Waldstraße beerdigt. Paul starb als Säugling in seinem Geburtsjahr 1878. Über Leo ist nichts bekannt.
Der jüngste der 5 Brüder war Gustav Brandt. Er besuchte die Jacobson-Schule in Seesen von Osten 1893 bis Ostern 1899, die er nach sechs Schuljahren verließ, um eine Lehre anzutreten, wie es in seinem Abgangszeugnis vom 20. März 1899 heißt. Seine Schulleistungen waren durchschnittlich, nur sein Betragen war gut bei nicht genügendem Fleiß. Er zog nach Hannover, machte dort eine Kaufmannslehre und gründete ein Bekleidungsgeschäft für Damen und Kinder, das den Namen „Werner und Werner“ führte5. Gustav nahm am ersten Weltkrieg (1914-1918) Soldat teil.
Er verheiratete sich am 14. August 1919 mit Irma Wallheimer, die am 23. Mai 1892 in Oldenburg geboren worden war. Sie hatten zwei (?) in Hannover geborene Kinder. die am 22. Mai 1920 geborene Tochter Hilde und den 22. Mai 1923 geborenen Sohn Gerhard (Gerry).
Die Familie verließ wegen zunehmender Verfolgung der Juden 1936 Hannover und wanderte in die USA nach New York aus. Gustav trat 1941 in die US-Armee ein und nahm drei Jahre lang als Soldat am Krieg in Europa teil. Einige Jahre später wanderte Gerhard mit seiner Familie nach Argentinien aus. Hier wuchs ihre Tochter Evy Brandt, die um 1970 nach Israel auswanderte und hier Isaak Shaiber heiratete. Sie haben zwei Töchter und zwei Söhne und leben heute in Israel.
Julius blieb in Lamspringe und betrieb das Geschäft seines Vaters Isaac erfolgreich weiter. Er verheiratete sich mit Anny, geb. Brandt, aus Hamburg. Sie hatten die Söhne Richard (geb. 10. Februar 1900, zog 1920 nach Hannover) und Henry, der am 17. August 1898 in Lamspringe geboren worden war. Henry Brandt übernahm das Geschäft von seinem Vater Julius und verheiratete sich mit Elisabeth Jordan aus Hamm.Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten im Jahre 1933 verschlechterte sich das Verhältnis einiger Fleckenbewohner und der offiziellen Stellen zu den jüdischen Mitbürgern einschneidend. Eine erste Anfeindung erfuhr die Familie Brandt 1933 nach Fertigstellung der Badeanstalt in Neuhof, wo ihnen trotz großzügiger finanzieller Unterstützung des Baus der Zutritt verwehrt blieb. Neben Hetzparolen wie „Juda verrecke“, die an die jüdischen Mitbürger gerichtet wurden, hingen auch Listen aus, in denen die Namen derjenigen Lamspringer Bürger eingetragen wurden, die bei Juden einkauften.
Am 15. September 1938 richtete, auf Antrag der Familie Brandt, der Lamspringer Bürgermeister Karl Anhalt vier Schreiben an den Landrat in Alfeld und ersuchte die Ausstellung von polizeilichen Führungszeugnissen zwecks Ausreisung für Julius Brandt, seine Ehefrau Elisabeth, geb. Jordan, und ihre beiden Söhne Helmut (* 14. Juli 1924) und Kurt (* 2. August 1927). Kurt berichtete mir 2012, dass er mit seinem Bruder Helmut und den beiden Kindern von Rosenbergs einmal wöchentlich von Rabbi Syska aus Hildesheim Unterrichtsstunden zum Erlernen der Hebräischen Sprache erhielten. Die jüdischen Kinder durften zunächst die evangelische Volksschule in Lamspringe besuchen, bis man ihnen das 1937 verbot. Gegen Ende des Jahres 1937, so berichtet ein Zeitzeuge, steigerte sich die antijüdische Propaganda. Auf der damals „Adolf-Hitler-Straße“ genannten Hauptstraße zogen zwei- bis dreimal in der Woche uniformierte Einheiten der Nazi-Organisationen durch und sangen ihre Kampflieder. Vor den beiden jüdischen Geschäften Brandt und Rosenblatt wurden immer wieder Hetzparolen wie „Juda verrecke“ geschrien.
Am Abend des Mittwoch, dem 9. November 1938, steigerte sich die Verfolgung der jüdischen Bürger auch in Lamspringe so, dass es zu der von der Reichsregierung angeordneten berüchtigten Reichsprogromnacht kam. Dabei wurden u. a. alle Synagogen im Deutschen Reich angezündet und alle jüdischen Geschäfte verwüstet. Zu den Ereignissen in Lamspringe berichtete ein damaliger Zeitzeuge, der damals als Aushilfskellner im Restaurant des Bahnhofshotels tätig war: „Irgendetwas lag in der Luft, die SA-Leute tuschelten und schienen auf etwas zu warten. Je länger der Abend dauerte, je mehr Bier getrunken wurde, desto mehr war aus einzelnen Sprachfetzen zu entnehmen. Schon bald konnte man sich zusammenreimen, dass man auf die SA aus Alfeld wartete und dass etwas gegen die Juden laufen würde7.“
Die Ausschreitungen gegen die jüdischen Bürger und ihre Geschäfte in Lamspringe kulminierten um 2 Uhr dahingehend, dass die Schaufenster der Geschäfte und der Wohnräume eingeschlagen wurden. Das Inventar der Geschäfte wurde teilweise zertrümmert und auf die Straße geworfen. Der Mercedes des Kaufmanns Henry Brandt wurde aus der Garage geholt, vor den Glockenturm der geholt, angezündet und umgestürzt.
Am 10. November 1938, am Tag nach der so genannten Reichsprogromnacht wurden Julius und Henry Brandt sowie Moses Rosenblatt und sein Schwiegersohn Max Rosenberg festgenommen, vorübergehend im Alfelder Gerichtsgefängnis inhaftiert. Als Elisabeth Brandt, geborene Jordan, die Ehefrau von Julius, in Alfeld die bereits ausgefertigten Ausreisepapiere vorzeigen konnte, wurde Henry sofort entlassen. Julius wurde kurz danach wegen seines fortgeschrittenen Alters ebenfalls entlassen. Die beiden Kaufleute Rosenberg und Rosenblatt kamen gleichfalls bald danach auf freien Fuß. Hierbei spielte wohl auch eine Rolle, dass Moses als Soldat am Ersten Weltkrieg teilgenommen hatten.
Nach Aussage des damals 11jährigen Sohnes Kurt8, gelang es der Familie Henry und Elisabeth Brandt mit ihren beiden Söhnen Helmut und Kurt ungefähr eine Woche nach den schrecklichen Ereignissen, per Eisenbahn offiziell nach Vlissingen in den Niederlanden zu reisen und sich an Bord des Passagierschiffes Westerland zu begeben. Die Überfahrt hatten sie bereits geraume Zeit vorher vorbereitet und gebucht. Sie erreichten am 12.Dezember 1938 den Hafen New York in den USA. Zuvor hatten sie eine so genannte Judensvermögensabgabe in Höhe von 3.800 RM zu zahlen. Der gesamte Besitz der Brandts wurde eingezogen. In der Nähe von Hamm konnte die Brandtfamilie bei einem Halt des Zuges die mütterlichen Großeltern von Kurt, die Eltern seines Mutter, treffen und sich von ihnen zu verabschieden. Diese wurden Opfer des Holocaust.
Julius (*25. November 1870) und Anna Brandt (*1. September 1877 in Hamburg-Wandsbeck) konnten wegen ihres Alters und wegen noch nicht vollständiger Ausreisepapiere nicht sofort mit der jungen Familie Henry und Familie auswandern, sondern fuhren noch 1938 zunächst nach Hannover, wo sie bis 1940 in der Yorkstraße 6 wohnten.
Sie stellten am 7. März 1939 ihre Ausreiseanträge beim Bürgermeister Karl Anhalt in Lamspringe, die aber erst Anfang 1941 genehmigt wurden. Sie reisten mit dem Zug durch das von deutschen Truppen besetzte Frankreich nach Spanien aus und konnten von Portugal aus mit einem Schiff nach New York offiziell auswandern. Sie lebten dann bei ihrem Enkel Kurt in Newmarket in New Hampshire. Der gesamte Besitz der Brandts wurde eingezogen. Die Gebäude wurden an Lamspringer Bürger verkauft. Heute (2013) leben die Nachkommen der Familien von Kurt und Helmut Brandt mit ihren Familien in den USA. Annie Brandt starb 1958 und Julius Brandt 1960 in den USA in New Hampshire. Kurt lebt heute mit seiner Frau Sarah in Florida, während Helmut 2002 verstarb.
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Familie Rosenblatt – Rosenberg
Die Familie Rosenblatt lebte seit 1894 in Lamspringe. Nach anfänglicher Tätigkeit als Handelsreisender für die Firma H. Brandt eröffnete Moses Rosenblatt ein Textil- und Einzelhandelsgeschäft und pachtete dafür ein Haus in der Hauptstraße 27. 1908 erwarb er ein Haus von Schelper in der Hauptstraße 35, das ganz in der Nähe lag und verlegte sein Geschäft dorthin
Dieses Geschäft erreichte aber nie die Größe des Brandt´schen Unternehmens erreichte. Er soll beim Aufbau des Geschäftes Unterstützung von Julius Brandt erhalten haben. Im Laden beschäftigte er eine deutsche Angestellte und er selbst bereiste oft mit dem Fahrrad die umliegenden Dörfer.
Moses Rosenblatt wurde am 4. Juni 1861 in Beiseförth (Schwalm-Eder-Kreis) als Sohn eines Viehhändlers geboren. Er war mit Frieda Goldschmidt verheiratet, die am 14. Mai 1870 in Mühlbach bei Homberg in Hessen geboren worden war. Auch sein Schwiegervater war Viehhändler. Aus der Ehe gingen vier Kinder hervor:
Jenny, geboren 1894, heiratete am 27. Dezember 1920 in Lamspringe den Kaufmann Wilhelm Rogozinski und zog mit ihm 1921 nach Essen.
Mally, geboren am 1. Dezember 1897 in Lamspringe, heiratete am 18. April in Lamspringe den Kaufmann Leopold Goldschmidt und zog mit ihm 1922 nach Fulda, von wo aus sie mit ihrer Familie im Jahre 1936 nach Palästina auswanderte. Hier lebte ihr Bruder Friedrich schon seit den zwanziger Jahren in dem Kibuz Giwath Brenner.
Else, geboren am 7. Oktober 1899 in Lamspringe, verheiratete sich am 31. Juli 1926 in Lamspringe mit dem Kaufmann Max Rosenberg, geboren am 1. Januar 1882 im ostpreußischen Schmallelingken an der Memel. Aus der Ehe gingen die beiden in Lamspringe geborenen Kinder hervor: Edith, geboren am 4. Oktober 1927 und Werner, geboren am 17. August 1929.
Friedrich, geboren 1901 oder 1902 in Lamspringe, besuchte nach der Volksschule das Gymnasium in Gandersheim, machte danach eine Gärtnerlehre und wanderte in den zwanziger Jahren nach Israel aus.
Über den Verbleib des Ehepaares Moses und Frieda Rosenblatt ist bekannt, dass sie ihren Antrag vom 3. August 1939 bei der Auswanderungsberatungsstelle in Lamspringe zur Auswanderung hin stellten und es ihnen tatsächlich noch gelang nach Palästina auszuwandern.
Else Rosenblatt war ein Mädel mit langen blonden Zöpfen. Sie ging in Lamspringe zur evangelischen Volksschule und war eine sehr gute Schülerin. Sie blieb als einziges Kind des Moses Rosenblatt und seiner Frau Frieda in Lamspringe. Sie heiratete den Kaufmann Max Rosenberg, der mit ihr das Textilgeschäft weiterführte. Else Rosenberg war die Inhaberin und ihr Mann der Prokurist des Textilgeschäftes Rosenblatt. Alle Rosenbergs bekamen, wie auch alle anderen Juden, nach der Verordnung des Reichsminister des Innern Wilhelm Frick vom !7. August 1938 zwangsweise jeweils den zusätzlichen Vornamen Sara bzw. Israel verordnet9.
Als die Verfolgungen durch die Nationalsozialisten auch in Lamspringe zunahmen und die Einschränkungen und Bedrohungen ihres Lebens immer größer wurden, beschlossen sie im Jahre 1939 ebenfalls nach Palästina auswandern. Dafür war das Verbot bei jüdischen Kaufleuten zu kaufen, das Verbot des Besuchs von öffentlichen Schulen für jüdische Kinder und schließlich die Verwüstung ihres Geschäftshauses am 9. November 1938 ausschlaggebend. Gegen Ende des Jahres 1937, so berichtet ein Zeitzeuge, steigerte sich die antijüdische Propaganda. Auf der damaligen „Adolf-Hitler-Straße“ zogen mehrmals in der Woche uniformierte Einheiten der Nazi-Organisationen durch und sangen ihre Kampflieder. Vor den beiden jüdischen Geschäften Brandt und Rosenblatt wurden immer wieder Hetzparolen wie „Juda verrecke“ geschrien.
Die beiden verwüsteten jüdischen Geschäfte in Lamspringe wurden am 10. November unter Bewachung der SS gestellt, um Plünderungen zu verhindern. Am 12. November wurden die Geschäfte auf polizeiliche Anordnung geräumt und noch vorhandenen Waren in die Klostergebäude gebracht. Mit seinem Schreiben vom 18. Juli 1960 schilderte Rechtsanwalt Dr. F. Badt anhand von Erinnerungen von Mally Goldschmidt, geb. Rosenblatt, die Ereignisse in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 folgendermaßen: „Die Waren wurden auf die Straße geworfen, und die Bevölkerung konnte sich nehmen, was sie wollte. Ein Einschreiten der Behörden erfolgte nicht. … Fest steht, dass nach der planmäßigen Aktion die jüdischen Bewohner verhaftet und in das Gefängnis nach Alfeld überführt worden sind. Wohnung und Geschäft blieben nach der Aktion offen und jedem Zugriff frei. Auch das war im Sinne der damaligen Machthaber.“
Der Weg in den Tod
Die Familie Max und Else Rosenberg zog am 5. September 1939 mit ihren beiden Kindern Edith und Werner nach Hannover, um von dort aus zu Elses Bruder Friedrich nach Palästina auszuwandern. Sie wohnten in der Minister-Stüve-Straße 2 mit zwei weiteren jüdischen Familien Plaut und Rosenhoff. Ihre Kinder Edith und Werner waren bereits seit dem 9. Dezember 1939 in der ehemaligen israelitischen Gartenbauschule in Ahlem – von ihren Eltern getrennt – untergebracht worden. Am 4. September 1941 mussten Max und Else in die Körnerstraße 41a in ein so genanntes „Judenhaus“ umziehen. Max Rosenberg war bei der Firma E. Hillegeist in der Ohestraße 3 beschäftigt.
Vor ihrer Abreise versuchten sie ihr Haus an den Besitzer der Kfz-Werkstatt von Herbert Quensen zu verkaufen, der zwar Interesse am Kauf, aber kein Geld, hatte. Daraufhin kaufte der Tischlermeister Heinrich Henze das Haus, der damit sein Geschäft erweiterte und eine Möbelausstellung einrichtete:
Die Familie Rosenblatt schaffte die Ausreise aber nicht mehr. Sie wurden mit anderen Juden aus den Regierungsbezirken Hannover und Hildesheim nach Hannover von Sammelstelle in der ehemaligen israelitischen Gartenbauschule in Ahlem bei Hannover gebracht. Dort nahm man ihnen alle Wertgegenstände ab und transportierte sie zum Güterbahnhof nach Hannover-Linden, von wo sie am 15. Dezember 1941 in Eisenbahnzügen mit Viehwaggons in das Ghetto von Riga transportiert wurden. Von hier aus wurden sie im August 1944 in die Konzentrationslager Auschwitz, Buchenwald und Stutthof gebracht.
Im „Gedenkbuch Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945“, das ab 1986 vom Bundesarchiv erarbeitet wurde und seit einigen Jahren auch online verfügbar ist, ist auch der Verbleib der vier Mitglieder der Familie Rosenberg aus Lamspringe aufgeführt: Der Vater Kaufmann Max Rosenberg (*1882) kam in das Konzentrationslager Buchenwald, wo er am 17. Februar 1945 kurz vor der Befreiung des Lagers im Alter von 62 Jahren starb. Der Sohn Werner (* 17. August 1929) kam in das Konzentrationslager Auschwitz, wo er am 12. Mai 1944 im Alter von fast 15 Jahren starb. Die Mutter Else Rosenberg, geb. Rosenblatt (* 7. Oktober 1899) kam mit ihrer Tochter Edith (* 4. Oktober 1927) in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, wo sie am 5. Dezember 1944 45jährig und Edith 17jährig am 7. Dezember 1944 starb.
Die vier Namen von Else, Max, Edith und Werner Rosenberg sind auf dem Holocaust-Mahnmal auf dem Opernplatz in Hannover unter den 1935 in Stein eingravierten Namen der deportierten und ermordeten jüdischen Bürger verzeichnet.
Der Friedhof in Lamspringe
Ursprünglich wurden die jüdischen Bürger Lamspringes auf dem evangelischen Friedhof beigesetzt worden. Davon zeugen heute noch die Grabsteine von Jenny Brandt, geb. Falkenstein (*5.5.1842, + 25.10.1887), und ihr Mann Isaac Brand (*14.7.1833, + 15.12.1900). Auf Antrag von Julius und Moritz Brandt, sowie Moses Rosenblatt am 24. November 1901, auf Überlassung eines geeigneten Platzes zur Einrichtung eines jüdischen Friedhofs, stellte die Gemeinde Lamspringe ein Grundstück an der Waldstraße am Hopfenberg zur Verfügung.
Der jüdische Friedhof gehört heute dem Landesverband der jüdischen Gemeinden in Hannover. Nach einer Vereinbarung pflegt die Gemeinde Lamspringe den Friedhof. Noch heute erinnern dort Grabsteine an einige der ehemaligen jüdischen Mitbürger. Es sind nur noch vier Gräber erhalten, davon zwei mit den Grabsteinen von Moritz Brandt (*24.7.1836, + 25.9.1925) und Hugo Brandt (*2.2.1868, + 16.2.1924) erhalten. Die übrigen wurden vermutlich in der Reichskristallnacht zerstört, so dass nicht mehr erkennbar ist, um wessen Grabstätten es sich handelt.
Fotos: (alle vom Autor, bis auf 10 und 11)
1. Unterschrift von Herz Brandt im Jahre 1836
2. Isaac Brandt und
3. Jenny Brandt, geb. Falkenstein
4. Grabsteine von Isaac Brandt und Jenny Brandt, geb. Falkenstein
5. Wohn- und Geschäftshaus der Familie Brandt 1920. Aquarell im Besitz von Evy Shaiber, geb. Brandt
6. Belegschaft des Textilgeschäfts Brandt 1925
7. Das am 9. November 1938 umgestürzte und angezündete Auto von Henry Brandt
8. Werbung des Textilgeschäftes M. Rosenblatt im Jahr 1933
9. Das am 9. November 1938 zerstörte Textilgeschäft Rosenblatt von Else und Max Rosenberg in der Hauptstraße 35
10. Das Foto mit Edith und Werner Rosenberg wurde im Jahre 1931 aufgenommen. Es ist das einzige erhaltene Bild, das die beiden Rosenberg-Kinder in glücklichen Jahren zeigt. Foto von Jürgen Kühn, Bonn
11. Else Rosenberg, geb. Rosenblatt, im Jahre 1931 in Lamspringe. Es ist das einzige erhaltene Bild von ihr. Foto von Jürgen Kühn, Bonn
12. Die Namen von Else, Max, Edith und Werner inmitten der 1935 Namen von deportierten und ermordeten Juden am Holocaust-Mahnmal in Hannover
13. Die beiden noch erhaltenen Grabsteine von Moritz und Hugo Brandt auf dem jüdischen Friedhof Lamspringe
Unterlagen:
Wiebke Schreiber, Juden in Lamspringe, Facharbeit im Leistungskurs Geschichte im Gymnasium Alfeld (Leine) 1988
Gedenkbuch. Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933 – 1945, Bundesarchiv, Koblenz 1986
Mitteilungen von Kurt Brandt 2011 und 2012
Unterlagen von Evy Shaiber, geb. Brandt, wohnhaft in Israel. Erhalten im Oktober 2012 in Jerusalem.
Pastor Dr. Friedrich Gatzemeyer, Lamspringe, fertigte am 27. Juni 1933 eine Niederschrift über seine Forschungen über die Familie Brandt im Staatsarchiv Hannover an (Besitz Evy Shaiber). Die Forschungen erfolgten in den Archivalien Ha 74, XIV Judensachen, A General, Buch 1492 6-12 und Hildesheim 1, 51 1, Amt Bilderlahe etc.
Historisches Archiv des Fleckens Lamspringe
– Berichte und Unterlagen von Elie Goldschmidt, Israel 2012