Text: Klaus Schäfer
Paul S. kam 1921 in Schlesien zur Welt. Er besuchte die Volksschule und arbeite danach als Bergmann im Kohlenbergbau. Sein Vater beging 1934 Selbstmord. Auch eine seiner Schwestern beging Suizid. Als Jugendlicher wurde er wegen kleinerer Delikte zu kurzen Gefängnisstrafen (3 – Wochen bis 4 Monate) verurteilt. Im Februar 1941 wurde er zu einem Infanterieregiment in Straßburg einberufen und kam im Juli 1941 zum Kampfeinsatz in Russland. Nach einer Verletzung im September 1941 kam er zunächst in ein Lazarett nach St. Avold. Im Februar 1942 meldete er sich für den Afrikaeinsatz und kam zum Afrikakorps in Landau. Hier wurde wegen eines Dienstvergehens zu 10 Monaten Gefängnis verurteilt, von denen er 8 Monate verbüßte. Er kam zurück zum Afrikakorps und erhielt einen Marschbefehl nach Sizilien. Er erhielt eine Ausbildung als Sanitätssoldat und kam als Krankenträger bei einem Panzergrenadierregiment auf Sizilien zum Einsatz. Im August 1943 erfolgte die Rückverlegung aufs italienische Festland. Ab Oktober kam seine Einheit in Süditalien zum Einsatz. Im Dezember 1943 gab es schwere Kampfhandlungen, die zu einer Vielzahl von Verwundeten in seiner Einheit führten. Anfang Januar 1944 erhielt er den Auftrag, zu einen Bataillonsgefechtsstand in den Bergen auszurücken. Er sollte einen Krankenträger ablösen und neues Verbandszeug bringen. Auf den Weg dorthin geriet er unter Artilleriebeschuss. Mit Hilfe eines Kradfahrers versuchte er aus dem Feuerbereich zu kommen, und bewegte sich rückwärts. Dabei erlitt er eine leichte Verletzung durch einen Granatsplitter. Nachdem er einen Verband erhalten hatte, versuchte er wieder seine Dienststelle zu erreichen. Auf den Weg dorthin sah er einen zerschossenen Sanitätswagen. Dieser Anblick brachte ihn aus dem Gleichgewicht und er kehrte wieder um. Er irrte drei Tage in Rom umher und entschied sich dann erneut, zu seiner Truppe zurückzukehren. In Alviso traf er zufällig auf einen Verpflegungswagen seiner Einheit, dem er sich anschloss. Seine Begleiter machten ihn heftige Vorwürfe und sagten ihm, dass sein Major ihm vors Kriegsgericht stellen würde. Dies löste bei ihm heftige Panik aus. Bei nächster Gelegenheit floh er erneut nach Rom, wo er nach zwei Wochen eintraf. Von hier wandte er sich weiter nach Norditalien und kam im Februar 1944 schließlich nach Florenz. Sein Ziel war, seine in Breslau wohnende Mutter zu erreichen. Er bestieg einen abfahrenden Zug und kam bis nach Spittal. Am 9. Februar wurde er von einer Heeresstreife festgenommen und nach Darmstadt verbracht.
Am 25.3.1944 wurde er vom Kriegsgericht der Division Nr. 172 in Darmstadt zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt. Er hatte dabei Glück im Unglück. Denn der Vorsitzende Richter bemühte sich auch entlastenden Umstände zu finden, um die drohende Todesstrafe nicht anwenden zu müssen. Die Verurteilung hat dennoch fast das Todesurteil für Paul S. bedeutet. Nach dem Urteil kam er nach Torgau an der Elbe. Hier gab es eine Festung, die als Kaserne für Strafbataillone diente. Hier wurde er 6 Monate für Arbeiten wie Essensausgabe und Reinigung eingesetzt. Von dort wurde er nach Olmütz in Mähren geschickt. Er sollte mit dem Strafbataillon 500 gegen die vorrückende Rote Armee eingesetzt werden. Jeder erhielt eine Pistole, ein Zusatzmagazin und eine Handgranate. Die Truppe bestieg einen Zug, der während der Fahrt auf offener Strecke von tschechischen Freischärlern gestoppt wurde. Das Strafregiment leiste keinen Widerstand und die meisten waren froh, den aussichtslosen Kampfeinsatz zu entgehen. Die Tschechen übergaben ihre Gefangenen nach einen zweitägigen Fußmarsch an US-Soldaten. Bei der Übergabe wurde Paul S. angeschossen, weil die US-Truppen die Gefangenenkolonne zunächst irrtümlich für Angreifer hielten. Bis Kriegende kam er in ein Gefangenelager nach Eger. Er zog dann in die sowjetisch besetzte Zone um nach seiner Mutter und den Geschwistern zu suchen., die sich in Magdeburg aufhalten sollten. Auf dem Weg dorthin wurde er zwangsverpflichtet und in verschiedenen Bergwerken bei Aue eingesetzt. Später kam er nach Bernsburg an der Saale, wo er als Volkspolizist rekrutiert wurde. Hier lernte er seine spätere Frau kennen. Nach den Unruhen am 17. Juni 1953 warnte man ihm vor ihm vor einer bevorstehenden Verhaftung. Er floh nach Westdeutschland und kam ins Übergangslager in Friedland. In Hildesheim traf er seine Mutter und seine Geschwister wieder. Ein Onkel der Mutter hatte sich hier vor dem Krieg niedergelassen und Arbeit gefunden. Auch Paul S. fand hier Beschäftigung und arbeite lange im Blaupunktwerk am Römerring.
Aufgrund seiner Verurteilung wurde ihn die gesamte Dienstzeit in der Wehrmacht nicht auf seine Rente angerechnet. Noch in den 80er Jahren musste er sich von den zuständigen Stellen als Verräter, Krimineller und Feigling beschimpfen lassen. Aufgrund dieser negativen Erfahrung vermied er zukünftig jeden Kontakt zu Behörden und ähnlichen Einrichtungen. 2002 wurde er posthum rehabilitiert und seine Frau bekam 9800 DM aus dem Entschädigungsfonds für Verfolgte des Nazi-Regimes.